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//stefan(R)

25.02.2009,
23:53 Uhr
 

Rettungsdienst und SIDS (Trauer)

Ich fahre jetzt seit 2 Jahren ehrenamtlich neben meinem Hauptjob (Azubi Krankenpflege) ein bis zwei mal pro Monat Rettungswagen. An Rosenmontag (vor 2 Tagen) hatte ich auch Dienst. Da ich eine Art Tagebuch führe, möchte ich einfach meine Eindrücke hier schildern. Eine Seite aus Sicht des oft involvierten Rettungsdienstes beleuchten. Ich bitte sie, liebe User dieses Forums, diesen Beitrag nicht zu lesen, falls sie eine sachliche Schilderung meiner Eindrücke nicht ertragen können/wollen.

Mir jedoch hilft es, das erlebte "von der Seele zu schreiben". Für mich war es die erste Konfrontation mit dem plötzlichen Kindstod. Und es geht mir nicht aus dem Kopf. Meine Probleme sind mit Sicherheit im Gegensatz zu denen der betroffenen Eltern lächerlich...

Ich habe diese Seite gefunden und vll. kann ich so Einblicke schaffen oder Fragen beantworten, die Eltern an den Rettungsdienst haben.

Falls es beschwerden geben sollte, falls das hier einfach fehl am Platz ist, bitte ich die zuständigen Moderatoren diesen Beitrag zu löschen und mich zu informieren.

Rosenmontag, 23.2., regnerisch...

24 h RTW auf meinem "Stamm-"RTW. Fing alles ruhig an, bisl mit der Vorschicht gequatsch, dann in Ruhe das Auto gecheckt und ab zum Bäcker. Zwei süße Brötchen und einen Donut später piepst es zum ersten Notfalleinsatz. "Kindernotfall - Notfall2, Xdorf, Schmitz". Mehr wissen wir nicht. Die 3 gedrückt und mit Sonderrechten in eine Nachbarstadt. Wir reden darüber, was wir heute Mittag essen werden. Nach 6 Minuten Fahrt sind wir an der Einsatzstelle angekommen, 4 gedrückt, Handschuhe an. Ich schnappe mir den Sauerstoff und die Kindertasche, mein Kollege nimmt den Rucksack und will den Corpuls3 (Defibrillator) rausnehmen. Der jedoch zeigt sich widerspenstig und klemmt fest. "Geh schonmal vor, das kann was dauern..."
Also gehe ich zu einem jungen Mann, der apathisch an der Haustüre steht (Hochhaus). "Sind wir hier richtig?" Ja, sagt er, und schickt mich in den zweiten Stock, die Türe sei offen... Ich bitte ihn noch unten zu warten bis mein Kollege und der Notarzt kommen. Ca. 20 Treppenstufen später erreiche ich die Wohnung, ich stoße die Türe auf. Vor mir steht eine junge Frau um die 20. Sie weint, ihre Schultern hängen. "Rettungsdienst, guten Tag, Stefan mein Name, worum geht´s denn?" Sie zeigt auf die Türe links neben mir. "Sie bewegt sich nicht mehr". Meine Alarmglocken gehen los... Ich öffne die Türe und betrete das Zimmer. Es ist stickig, riecht nach Zigarettenqualm und Schweiß. Die Wohnung ist verwahrlost. Ich sehe neben mir ein Kinderbett. In ihm liegt ein toter Säugling. Mir rutscht ein "Ach du Scheisse" raus... Das Angelika nicht mehr lebt, sehe ich sofort. Dunkle, aschgraue/braune Haut, weisse Finger, zu einer Faust geformt, Livores (Totenflecke) an der der Matraze zugewandten Handfläche, halboffene Augen, den Kopf zur Seite geneigt. Ich stelle mein Equipment zur Seite, ich werde es nicht brauchen. Ich lege meine Finger auf die Brust, versuche Atemexkursionen der Brust zu fühlen und zu sehen. Ich weiss, dass da keine kommen werden. Ich versuche Angelikas Unterkiefer zu bewegen. Es geht nicht. Rigor mortis (Totenstarre).
Die Mutter fängt leise an zu weinen, guckt mich an, ihr Mund öffnet sich zu einer Frage. Wo zum Teufel bleibt mein Kollege?!?! Ich bin erst 30 Sekunden in der Wohnung. Sie schreit: "Warum tun sie denn nichts? Warum bewegt sich mein Kind nicht?" -Schluchzen-. Ich schaue der Mutter in die Augen. Ich will es nicht sagen. Ich habe soetwas noch nie gemacht.
"Frau Schmitz, es tut mir sehr leid...." -Sie fängt an zu schreien- "...aber ich kann für ihr Kind nichts mehr tun... es ist tot." Schreie, Weinkrämpfe, im Nebenzimmer fängt die Schwiegermutter an zu schreien. WO BLEIBT MEIN KOLLEGE???? Die Türe geht auf. Sein Blick "was ist denn hier los". Ich schüttel nur den Kopf. Zeitgleich trifft der Notarzt ein. Ich mache eine kurze Übergabe. Tobias (der Notarzt) schickt alle raus, wir sollen nix mehr berühren, "wegen der Spurensicherung". Der NEF Fahrer verständigt die Polizei und die KriPo. Ein Notfallseelsorger wird gerufen. Der Vater läuft anteilnahmslos durch die Wohnung, dann setzt er sich, will eine Zigarette drehen, dann bricht er in Weinkrämpfe aus. Steht wieder auf und läuft umher. Irgendwie sind nur noch Tobias und ich da. Die Kollegen haben sich nach unten verdrückt. Ich will Tobias nicht alleine lassen. Ich will hier weg. Ich lege meinen Arm um die Schulter des Vaters. Vater ist er noch, ein 1 1/2 Jahres Kind haben sie noch. Es ist bei der Oma. Ich will trösten, Ausdruck der Anteilnahme... Ich glaube das es der Vater gar nicht bemerkt. Hilflosigkeit überall. Tobias erklärt der Familie, was nun passieren wird. Das sie ihr Kind nicht mehr berühren dürfen, das es von der Polizei mitgenommen wird. Und das das so Vorschrift sei. Die KriPo ist da, ich muss eine Aussage machen denn ich war der ersteintreffende/untersuchende Rettungsdienstmitarbeiter. Was hab ich gemacht, was hab ich berührt, was ist mir aufgefallen...
Ich will raus. Nur noch weg hier. Vor 20 Minuten stand ich beim Bäcker. Vor 10 Minuten habe ich einer Mutter sagen müssen, das ihr Kind tot ist. Angelika wurde drei Wochen und zwei Tage alt...

Liebe betroffene Mütter und Väter. Mir treibt es jetzt noch die Tränen in die Augen obowhl ich die Schmerzen nicht so fühlen kann wie sie. Ich bin 24 Jahre alt, habe (noch) keine kinder aber ich verstehe ihre Ängste, ihre Hilflosigkeit. Ich wünsche ihnen viel viel Kraft, ihren Weg zu gehen...
Das habe ich der zwanzig Jahre jungen Mutter auch gesagt... Mehr konnte ich nicht tun.

//stefan(R)

25.02.2009,
23:55 Uhr

@ //stefan

Rettungsdienst und SIDS

Eins habe ich noch vergessen, für Fragen stehe ich gerne zur Verfügung. Ich bitte sie jedoch darum zu beachten, dass ich kein Arzt bin.

Hildegard Jorch(R)

E-Mail

Münster,
26.02.2009,
12:10 Uhr

@ //stefan

Rettungsdienst und SIDS

Hallo Stefan,
danke, dass Sie so offen mit Ihrem Einsatz am Rosenmontag umgehen; wenn Sie hier im Forum oder im Forum schlafumgebung.de nach weiteren Einträgen Ihrer Kollegen suchen, werden Sie auch einige finden, aber es sind halt nur sehr wenig. Von Seiten anderer Berufsgruppen, die auch an einem solchen Einsatz beteiligt sind, haben wir hier bislang keine Postings. Zu weiteren Infos für Sie: wenn Sie auf unser Bestellforumular dieser Homepage gehen, werden Sie auch Infos für den Rettungsdienst finden. In der Rettungsdienstbroschüre sind auch Berichte Ihrer Kollegen sowie auch Berichte von Notärzten mit aufgenommen.

Für alle Beteiligten ist der Plötzliche Säuglingstod unfassbar. Jeder, der in einem solchen Einsatz unmittelbar steckt, spürt ein Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht, weil dieser Tod unerklärlich ist und völlig unerwartet kommt - und auf den Rettungsdienst bezogen - mit einem solchen Einsatz in dieser Form auch dann nicht gerechnet wird, wenn es heißt "Einsatz Kind unter 2 Jahren - bewußtlos/leblos?" - dabei macht dieser Einsatz im gesamten Kindesalter 30% aller Reanimationseinsätze aus.Das wissen aber die meisten im rettungsdienst Tätigen gar nicht.

Zu Ihrem konkreten Einsatz: es war gut, mit welcher Empathie Sie mit dem Vater umgegangen sind; es war gut, dass Sie die Situation so ausgehalten haben und nicht einfach gegangen sind, es war für Sie persönlich jetzt sicher gut, dass Sie selbst kein Kind in diesem Alter haben, es war sicher auch gut, einen Notfallseelsorger gerufen zu haben und auch für Sie ist es wahrscheinlich/hoffentlich hilfreich, auf diese Seite gestoßen zu sein.

Notfallseelsorger/-Begleiter sind "nur" in der Akutsituation da, danach sind die Eltern allein. Wichtig ist aber ihre weitere Begleitung. Ich würde gern persönlich mit Ihnen über diesen Einsatz sprechen, um zu schauen, wie wir die weitere Begleitung dieser Eltern von Seiten der GEPS arrangieren können, ohne Datenschutzrechte zu verletzen. Ich möchte nicht, dass die Eltern in der Zeit bis zur Beerdigung und auch darüber hinaus mit ihren vielen Fragen allein bleiben. Ich möchte, dass sie sich aufgenommen und getragen fühlen können von anderen Eltern, die Ähnliches erlebt haben, die ihre Situation nachempfinden können und die ihnen auch jetzt mit Rat und Tat zur Seite stehen können.
Bitte rufen Sie mich daher baldmöglichst an: 0251/862011. Es sind jetzt sooooo viele Dinge zu regeln, die nachträglich nach der Beerdigung nicht mehr geändert werden können.

Viele Grüße aus Münster

Hildegard Jorch

---
Präsidentin der GEPS- Deutschland e.V.
Vorsitzende der GEPS-NRW e.V.

//stefan(R)

26.02.2009,
22:21 Uhr

@ Hildegard Jorch

Rettungsdienst und SIDS

Hallo Frau Jorch.

Ich bin sehr positiv überrascht über die offene Form ihrer Kontaktaufnahme. Ich kann ihnen die Identität der betroffenen Personen aber nicht offenbaren. Dazu habe ich mich verpflichtet. Nur die Eltern können mich von meiner Schweigepflicht entbinden. Und den Kontakt zu den Eltern möchte ich nicht suchen. Wir haben ein sehr sehr gutes Notfallseelsorgeteam, das rund um die Uhr 24h besetzt ist und den Angehörigen die notwendigen Hilfsmöglichkeiten nicht nur aufzeigt, sondern sie auch dorthin führt, wenn der Bedarf besteht. Ich weiss, dass die betroffene Familie in besten Händen ist. Ich weiss nicht was der Seelsorger mit den Eltern geklärt hat, da ich da schon beim nächsten Einsatz war. Der Notarzt und die Polizei sind bis zum Eintreffen des Seelsorgers geblieben.
Der Notarzt hat die Angehörogen aber schonmal vorsichtig drauf hingewiesen, wie das folgende Prozedere sein wird (Polizei/Kripo und Mitnahme des Leichnams etc.) und er aus der Erfahrung her weiss, dass es das beste sein wird, das Kind obduzieren zu lassen, um Gewissheit zu haben, ob es nicht andere Kausalitäten für den Kindestod ursächlich waren.
Ich hoffe sie haben dafür Verständnis...

MFG
Stefan

Hildegard Jorch(R)

E-Mail

Münster,
27.02.2009,
14:13 Uhr

@ //stefan

Rettungsdienst und SIDS

Hallo Stefan,
ich habe überhaupt nicht erwartet, dass sie die Datenschutzrechte verletzen und der GEPS die Daten der Eltern ohne ihre Zustimmung mitteilen, sondern kann es nur begrüßen, wenn Sie so sorgfältig damit umgehen. Dass Sie sich nicht noch einmal an die Eltern wenden möchten, kann ich verstehen. Aber vielleicht bekommen Sie ja noch einmal Kontakt zu Ihrer Notfallseelsorge oder auch der Kripo und können diese auf die Hilfsangebote der GEPS noch einmal ansprechen.
Das Vorgehen Ihres Notarztes in der Akutsituation war - so wie ich es aus Ihrem Bericht entnehmen kann - ja wohl auch vorbildlich.
Vielleicht finden die Eltern auch in dieses Forum oder auch telefonisch zur GEPS.

Herzliche Grüße aus Münster

Hildegard Jorch

---
Präsidentin der GEPS- Deutschland e.V.
Vorsitzende der GEPS-NRW e.V.

alone again(R)

12.02.2010,
03:01 Uhr

@ //stefan

Rettungsdienst und SIDS

Was Sie schreiben, ist wundervoll und richtig. Man wünschte alles Rettungspersonal würde sich (trotz der offensichtlich "widerlichen" Umstände) so verhalten. Ich habe leider das Gegenteil erlebt, nein meine Wohnung war weder verwahrlost noch zuqualmt, noch sonst was. Soweit ist der Rettungsdienst nicht einmal mehr hochgekommen, sie haben erwartet, dass ich mein Kind runterbringe. Was ich absurd fand, nachdem ich dabei war ihn Wiederzubeleben. Aber auch das. Im Krankenwagen habe ich "Es wird schon, alles ist gut zu hören bekommen." Das war weder hilfreich noch entsprach es der Wahrheit. Ich wollte wissen, was sie da tun und wurde mit diesen Sätzen abgefertigt. Das hilft einer ängstlichen Mutter nicht. Einer Verängstigten wäre wohl treffender. Im Krankenhaus ging die Odyssee dann weiter. Das Hilfreichste war Jemand der mir ein paar Taschentücher in die Hand gedrückt hat. Und als "Wir" dann die Entscheidung getroffen hatten die Maschinen abzustellen, stand die Kripo Gewehr bei Fuss. Widerlich. Ich akzeptiere natürlich, dass sie einen unerklärten Todesfall untersuchen, insbesondere bei einem Säugling, insbesondere nach allem, was man liest, aber soviel Pietätsgefühl noch einen Abschied zu erlauben ist wohl das Mindeste. Offensichtlich nicht. Zum Thema Notfallseelsorger kann ich nur sagen: Den Pfarrer habe ich rufen lassen, weil der Kleine noch nicht getauft war, für eine Nottaufe. Nachdem mir eine geschmacklose Ärztin gesagt hat, ja, eine Minute eher, weniger Schädigung, aber sein Gehirn ist Brei, das wird nix mehr - O-Ton -. Um ehrlich zu sein von allem Notfallpersonal, dass mir während allem begegnet ist, kann ich - will ich aber auch nur zwei Menschen positiv erwähnen. Das war einmal der Kinderarzt, der mit mir "uns" die letzten Minuten betreut hat, und der Pfarrer, der meinem unangebrachten Benehmen und meinen Anfeindungen standhaft widerstanden hat, der Gemeindepfarrer ist leider kein solch großer Mensch. Schön, nicht unbedingt hilfreich (zu allgemein) war auch die Mappe, die einem gegeben wurde. Man bekam noch einmal Fussabdrücke und Handabdrücke des Kindes, sie sollten allerdings die Eltern vorher warnen, die fangen an zu schrein, wenn sie ihr Kind anziehen wollen und blaue Hände und Füsse vorfinden (Tinte oder Ähnliches).

Ich wünschte, unser Rettungspersonal würde mehr so achtsame und respektvolle Menschen wie sie beschäftigen. Sie waren großartig, auch und ob der schlimmen Situation.

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