Liebe Frau Jorch, liebe trauernde Eltern und Angehörige!
Ich schreibe bewusst im Themenbereich Forschung, möchte dazu aber auch in diesem Bereich beschreiben, was uns als Familie wiederfahren ist.
Wir sind 4 Geschwister, zwei Mädchen, zwei Jungen.
Ich bin die Älteste mit 32 Jahren und darf von großem Glück sprechen, zwei gesunde Jungen im Alter von 10 und 13 Jahren zu haben.
Ich war früh Mutter und bereue diese Entscheidung keinen Moment, wir sind eine sehr glückliche Familie.
Eigentlich wären wir als Geschwister zu fünft.
Wenn meine Mutter damals ihr erstes Kind Christian,nicht durch den plötzlichen Säuglingstod verloren hätte.
Sie fand ihn nach dem Mittagschlaf in der Wiege.
Er kam im April auf die Welt und starb im September.
Da war Mama schon mit mir schwanger, darauf folgten 1982,83,und 85,meine Geschwister.
Mama hat nie darüber geredet, irgendwann wusste man, das das Schlimmste passiert war, was Eltern passieren kann.
Meine Kinder kamen 2000 und 2002 zur Welt.
Oma erzählte mir als Miguel auf der Welt war,z.B. von nächtelangem Wachliegen um Atemgeräuschen zu folgen, nachdem ICH damals ein paar Monate später auf der Welt war. Auch später bei meinen Geschwistern.
Alle Familienmitglieder hatten schreckliches erlebt, und ich war die nächste Generation nach uns, die ein Kind zur Welt brachte.
Ich kann verstehen, das sie mich darauf aufmerksam machen wollten.
Jeder auf seine Art und Weise. Oma war nicht die einzige.
Es gibt keinen Mittelweg, wenn man um ein Kind trauert, damit muss jeder selbst,eben auf seine Art und Weise umgehen lernen.
Alleine sich zu äussern fällt vielen Menschen so schwer, das habe ich im letzten Jahr gemerkt. Die Worte sind immer falsch und doch richtig.
Menschen sind verschieden.
Für jeden ist es unfassbar.Unfassbares ist nicht in Worte zu bringen.Nie.
Ich habe mich damals mit dem Thema auseinandergesetzt,
oder bin mit dem Thema auseinander gesetzt worden, wollte mich aber auch nicht verrückt machen.Ich hatte schon furchtbare Angst.
Also habe ich an mein Kind gedacht, das ich stark für ihn sein muss.
Die schlimmen Gedanken machen einen richtig fertig, man bekommt nichts mehr hin.Es waren trotz aller Bemühungen schreckliche 24 Monate, bei beiden Jungs.
Der Gedanke kam doch immer wieder auf, man wartete auf den Zweiten Geburtstag.
Am 05.01.2012 wurde Philip Marcel, Kind meines jüngsten Bruders geboren.
Wir alle waren so glücklich, glücklich glücklich!
Durch Zufall bekam auch meine Cousine an diesem Tag ihren Sohn, im selben Krankenhaus. Sie trafen sich kurz vor der Entbindung auf dem Flur!
Oma und Opa waren stolz!Zweimal Uroma und Uropa an einem Tag.Da war was los!
Am 27.03.2012 klingelte morgens um 6.20 Uhr unser Telefon.
Die Stimme meiner Schwester, als sie sagte, Philip ist tot,werde ich mein Leben lang in meinem Kopf hören.
Ich hatte Philip Marcel noch kein einziges Mal gesehen.
Wir wohnen ein ganzes Stück auseinander, und wollten 14 Tage später bei uns Kinderkommunion von Patrick feiern.
An diesem Tag wollte mein Bruder mit seiner Freundin die Paten benennen.
Ich hätte mein Patenkind das erste Mal im Arm halten dürfen.
Nach dem Anruf setzte ich mich ins Auto und fuhr zu meiner Familie.
Warum bin ich nicht vorher gefahren?Dieser Gedanke holt mich dauernd ein.
Meine Mutter war zwei Tage bevor Philip Marcel starb,aus Afrika nach Hause gekommen. Sie hatte ihn nach der Geburt auch noch nicht gesehen,fuhr am Tag der Heimkunft sofort hin.Sie konnte ihn als drittes Enkelkind nur einmal auf dem Arm halten.
Es war gegen neun Uhr, als ich ankam und schon viele versammelt waren.
Es fehlten meine Schwester,meine Mutter und mein Bruder mit Freundin.
Sie kamen etwa zehn Minuten nach meinen Eintreffen. Meine Mutter brach bei meinem Anblick zusammen.Sie hatte eine Taufkerze in der Hand.Wir weinten, alle weinten, keiner konnte mehr irgendwas. Wir lagen uns in den Armen, tagelang und heute noch immer, immer wenn wir uns sehen.
Meine Mutter hat dieses Schicksal nun doppelt erfahren, mein Bruder lebt jetzt alleine damit,d.h. die Frau ist durchgedreht.
Wer kann es ihr verdenken? All unsere Unterstützung hat nichts gebracht. Die Beiden gehen getrennte Wege.
Er weiss aber, das wir für ihn da sind.
Es bleiben so viele Fragen.
Meine Mutter öffnete sich mir während eines Telefonats, sie redet heute etwas mit uns darüber. Es ist viel nachzuholen, obwohl wir eine sonst so vertraute Beziehung zu ihr haben. Wir alle.
Sie sagte mir, das ihr etwas aufgefallen sei.
Sie hatte damals, als Christian in ihrem Arm lag, immer das Gefühl, er würde "nach links ziehen"
Zu dieser Zeit hatte sie aber kein Bedenken deswegen gesehen.
Als sie Philip zwei Tage vor seinem Tod das erste Mal auf dem Arm hielt, zog er auch nach links.
Reaktion wäre vorhanden gewesen, aber er habe zeitweise so leer geschaut.
Und eben das nach links ziehen.
Wir haben während des Gesprächs für uns festgestellt, dass das Gehör für den Gleichgewichtssinn verantwortlich ist.
Dann habe ich gegoogelt und das gefunden..
http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/281017
Aber welche Hebamme, welcher Arzt, will den frisch gebackenen Eltern sagen, das der Hörtest schlecht war, und welche Folgen das hat, haben kann....?
Ich will meinen Bruder nicht damit belasten, im Krankenhaus zu fragen, wie der Hörtest ausgefallen ist. Es war eine schwere Geburt. Meist sind die Werte dann erfahrungsgemäß nicht so toll.
Für meinen Bruder suche ich eine Trauerbegleitung in Rheinland-Pfalz.
Anfangs wollte er nicht, jetzt hat er sich mir anvertraut. Er bekommt die Bilder dieses Morgens nicht mehr aus dem Kopf, das Beatmen.
Er tut mir schrecklich leid. Ich habe ihm gesagt, er hat bis zum Schluss alles Erdenkliche für sein Kind getan, er darf die Bilder nicht negativ werten.Man weis nicht, was hilft:(
Ich wünsche euch Allen, alle erdenkliche Kraft und den Mut, den Weg des Lebens weiter zu gehen.
Ihr hättet es für Eure Kinder getan, ihr müsst das aber auch für euch tun!
Ich zünde eine Kerze für euch an!
Bis bald Andrea |