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Kindstod in wirklichkeit ersticken? (Fragen zur Forschung)

verfasst von Hildegard Jorch(R) E-Mail, Münster, 19.04.2007, 01:48 Uhr

Hallo Julie,
glaube bitte nicht, dass Dein Kind erstickt ist, und glaube bitte auch nicht, dass es von Deinem Mann im Bett erdrückt wurde. "Ersticken" oder "Erdrücken" hätte dann die Diagnose nach der Obduktion gelautet und nicht SID.

Ob zuerst das Herz aufhört zu schlagen, oder zuerst die Atmung aussetzt - niemand kann bisher den genauen generellen Todesmechanismus beim Plötzlichen Säuglingstod benennen; dazu gibt es zu wenig Aufzeichnungen, die man bei Überwachung weltweit von Kindern während des Todes hat. Vielleicht ist es auch generell von Kind zu Kind unterschiedlich. Die Vorstellungen, warum es zum Tod kommt, sind bislang nur Hypothesen; was man lediglich aus weltweiter jahrelanger epidemiologischer Forschung kennt, sind etliche R i s i k o f a k t o r e n, aber k e i n e U r s a c h e. Man geht von einem multifaktoriellen Ereignis aus, das heißt, dass verschiedene Risikofaktoren zugleich auftreten müssen, damit es zum Tod kommt. Welche genau und in welcher Konstellation, kann bisher niemand sagen; und - was auch immer wieder vergessen wird zu erwähnen - man kennt sicher immer noch nicht alle Risikofaktoren, die bei diesem Ereignis eine Rolle spielen, sonst würden nicht auch Kinder am SID sterben, bei denen keine bislang bekannten Risikofaktoren vorlagen.

Zu Deiner weiteren Sorge, dass Lilly gelitten hat:
kannst Du Dich oder Dein Mann sich noch an Ihr kleines Gesichtchen erinnern, Ihren Gesichtsausdruck nach dem Tod? Ich bin sicher Ihr wißt es noch!
Alle SID-Kinder, die ich bislang gesehen habe - und ich blicke da auf 20 Jahre zurück, die ich in der GEPS arbeite und Familien auch im Abschied von ihrem kleinsten Kind begleitet habe - sahen nicht leidend aus. Hätten sie gelitten, hätte man es in ihrem kleinen Gesichtchen sicher gesehen. Mach Dich also frei von dieser quälenden Vorstellung.

Betrachtet man die Geschichte zum SID historisch, dann findet man immer wieder diese kuriosen Erklärungsversuche für den plötzlichen und unerwartetetn Tod eines so kleinen Kindes durch Ersticken oder Erdrücken der Eltern im Bett. So entstanden auch in verschiedenen Ländern vor 2-3 Jahrhunderten sog. Arcuccios, Halbröhren aus unterschiedlichem Material, die man den Kindern liegend im elterlichen Bett überzustülpen hatte, damit die Eltern sich nicht auf das Kind drehen konnten. Selbst im Alten Testament der Bibel wird ein plötzlicher und unerwareter Tod eines Babys im "1 Buch der Könige 3, 16-28" als Tod durch Erdücken bezeichnet, weil man sich einen Tod ohne eigentliche Todesursache einfach nicht vorstellen konnte. Das scheint manchen immer noch so zu gehen; sie suchen nach einer einzelnen Todesursache, was dann leider nicht selten immer noch als letztendlich "Schuld der Eltern" wie auch immer definiert, bezeichnet wird.

Der ZEIT-Artikel trägt nicht gerade dazu bei, diese Einstellung in der Öffentlichkeit gegenüber Eltern, die ihr Kind plötzlich und unerwartet verloren haben, zu verändern, sondern stigmatisiert sie eher noch.
Er wäre eine gute Chance gewesen, die langjährige Arbeit der GEPS zu unterstützen, d.h. durch sehr einfühlsamen und präzisen Sprachgebrauch Öffentlichkeit und alle, die mit kleinen Kindern in den ersten beiden Lebensjahren zu tun haben, in adäquter Weise aufzuklären über bekannte Risikofaktoren, gleichzeitig aber auch Fachkräfte in Krankenkäusern, Tagesstätten usw. auf ihre Verantwortung bezüglich ihrer Vorbildfunktion hinzuweisen und damit auch gesundheitspolitisch zu wirken; es wäre eine Chance gewesen, mit einer Meinung wie aus dem "Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 § 738 und 739" mal wieder aufzuräumen und Betroffene aus der Schublade "Stigmatisierung, Fremdverschulden, Eltern sind selber schuld" vor der Öffentlichkeit klar und deutlich herauszuholen und durch heutige Erkenntnisse zum SID Fakten zurechtzurücken. Diese Chancen wurden leider in diesem ZEIT-Beitrag nicht wahrgenommen. Schade!!!


Dir, liebe Julie wünsche ich: mach Dich frei von quälenden Assoziationen, die der ZEIT-Artikel bei Dir ausgelöst hat (ich weiß, es ist leichter gesagt als getan) und sei ganz gewiß: Du hast viele Eltern neben und hinter Dir, die zwar hier und jetzt im Forum sich nicht äußern und melden, die sich aber im Rahmen der GEPS als Elternselbsthilfeorganisation einerseits weiter gegen Stigmatisierung und für einen adäquten Umgang mit betroffenen Familien einsetzen, andererseits zugleich aber auch für die Umsetzung der Präventionsmaßnahmen kämpfen, damit immer weniger Eltern ihre Kinder auf so schmerzliche Art und Weise verlieren.

Ganz liebe Grüße

Hildegard Jorch

---
Präsidentin der GEPS- Deutschland e.V.
Vorsitzende der GEPS-NRW e.V.

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