Leben mit der Ungewissheit (Trauer)
Es liegt so lange zurück, aber endlich möchte ich davon erzählen. Der Tod meines Sohnes (er starb mit 16 Jahren an einer Krebserkrankung), der nun auch schon wieder acht Jahre zurückliegt, hat auch diese Geschichte wieder aufgewühlt.
Ich war damals 21 Jahre jung und brachte in Italien meinen kleinen Sohn David zur Welt. Ich gehörte damals zur Hippie-Generation, wir hatten nicht viel, auch kein Kinderbett, aber einen großen Kinderwagen, in den ich David zum Schlafen legte. Ich weiß noch, wie ich mir beim Goethe-Institut Bücher ausgeliehen habe, um gut informiert zu sein über Schwangerschaft, Geburt und Pflege und dass ich gelesen habe (1983), dass man das Baby am besten in Bauchlage zum Schlafen legen soll. Es war im August, ich bin morgens aufgewacht und habe mich sofort gewundert, weil ich so lange geschlafen hatte, die Sonne schien bereits ins Fenster. Dann war mir gleich ganz komisch und ich ging zum Kinderwagen. David lag da regungslos auf dem Bauch, mit dem Gesichtchen auf die Matratze gedrückt, beide Ärmchen nach hinten gestreckt. Als hätte er sich versucht, sich mit den Beinchen nach vorne zu schieben. Ich fasste ihn an, nahm in hoch.... er war ganz kalt und steif! Ich bin aus dem Haus gerannt, es war niemand da mit dem ich sprechen konnte, hatte auch kein Telefon, bin zum deutschen Konsulat gerannt wo man mich wenigstens verstanden hat... saß dort und musste warten, kann mich noch genau erinnern wie ich aus dem Fenster den strahlend blauen Himmel sehen konnte, und wie die Wolken vorbeizogen....
Dann wurde ich von der Polizei abgeholt und zur Wache mitkommen, ich weiß nicht mehr was sie alles wissen wollten, ich habe nur noch geweint.
Mein damaliger Freund (nicht leiblicher Vater) war zu dem Zeitpunkt gerade zur Silberhochzeit seiner Eltern in D gefahren, und ich war allein. Hatte ein paar italienische Freunde, die mich unterstützt haben, aber die Sprachkenntnisse reichten zwar aus zur einfachen Verständigung, aber nicht um das GEschehende zu sprechen.
Am nächsten Tag stand dann groß aufgemacht in der Zeitung: "Tragodia tedesca: bambino soffocato nella culla" (Deutsche Tragödie: Kind erstickte im Kinderwagen).
Einige Zeit später bin ich mit meinem Freund, meinem jetzigen Mann, zurück nach Deutschland. Ich habe in den Jahren danach an heftigen Angststörungen und Depressionen gelitten, die mich auch heute noch oder wieder zeitweise begleiten. Ich hatte große Schuldgefühle, stellte mir vor dass mein Kind schrecklich gelitten hat und ich es nicht gemerkt habe und statt dessen lang geschlafen habe. Als Mutter hätte ich es doch merken müssen!!!
Etwa zwei Jahre später erzählte ich einer Frau bei Pro Familia von dem, was geschehen war. Nachdem sie mir zugehört hatte, erklärte mich ganz ruhig und sachlich, dass es sehr wahrscheinlich wäre, dass David an plötzlichem Kindstod gestorben wäre. Ich habe mich gefühlt, als wären Tausend Tonnen von meiner Brust genommen worden.
Aber immer wieder kommen Zweifel, alles kommt wieder hoch, und da es keine Obduktion gegeben hat, werde ich letzten Endes mit der Ungewissheit leben müssen. In der Zeitung stand, die Matratze sei vermutlich die Ursache, sie wäre wohl zu weich gewesen. Aber es war doch eine relativ dünne Matratze, und besonders weich war sie auch nicht, normal eben.
Zu der Zeit, als es damals geschah, gab es kein Bewusstsein in der Öffentlichkeit über den Plötzlichen Kindstod. So habe ich eigentlich nie oder fast nie darüber gesprochen, auch später nicht, denn da war es ja "so lange her". Deshalb möchte ich mich entschuldigen, dass der Beitrag nun so lang geworden ist, ich habe mir vieles von der Seele geschrieben.
Ich habe noch eine Tochter, die jetzt 21 Jahre ist. Wir trauern alle um ihren großen Bruder und unseren Sohn, der 2003 gestorben ist.
An DAvid habe ich nur Erinnerungen, nicht mal Bilder.
Martina
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