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Alex

Moers,
22.01.2007,
19:49 Uhr
 

Tod ist sehr real geworden (Trauer)

Hallo.
Die Geburt meiner Tochter Runa liegt nun etwa einen Monat (20.12.2006) zurück. Sie ist am 1. Weihnachtsfeiertag nachts in meinem Arm gestorben. Das Absurdeste, was ich zur Zeit erlebe sind die unterschiedlichen Begegnungen mit Menschen, die mir teilweise spontan zu der Geburt meiner Tochter gratulieren möchten und dann erfahren, dass sie am 5. Tag gestorben ist. Oder auch Menschen, die es über Dritte gehört haben und nicht mehr wissen, wie sie mit mir umgehen sollen. Für meine Kinder (Lena, 13 Jahre und Nathaniel 2 1/2 Jahre) versuche ich so gut wie möglich, "Normalität" zu leben. Ich möchte einfach nicht, dass sie den Eindruck bekommen, dass Ihnen im übertragenen Sinn "der Atem genommen" wird, sie denken, dass sie nicht mehr wichtig sind.
Oder, wie Lena vor Kurzem zu mir sagte, sie ein schlechtes Gewissen habe, wenn sie fröhlich ist. Selbstverständlich habe ich ihr gesagt, dass sie nicht nur kein schlechtes Gewissen haben brauche, sondern im Gegenteil, sie ihr Leben genießen sollte. Die Trauer käme schon von ganz allein immer wieder, das ist halt zur Zeit NEBEN der Fröhlichkeit Bestandteil unseres Lebens, aber nicht Hauptbestandteil...
Wir hatten viel Hilfe in den letzten Wochen. Und mir ist bewußt, dass diese Art der Hilfe nicht selbstverständlich ist. Meine Nachbarin hat ihren gesamten Urlaub für uns geopfert, mit großer Selbstverständlichkeit. Einer der KriPo-Beamte war sehr besonnen und gut. Frau Jorch hat mich bei den brennendsten Fragen sehr unterstützt. Und es gab auch einige andere, die einfach da waren. Gut da waren.
Aber seit Runa nicht mehr wach wurde, einfach nicht mehr wach wurde....gehe ich mehrmals pro Abend / Nacht an die Betten meiner Kinder, um zu sehen, ob sie WIRKLICH "nur" schlafen.
Mein Gott, sitzt mir der Schrecken in den Gliedern.

Zwar fragen mich immer wieder Leute, wie ich so stark sein kann und ich möchte auch gar nicht behaupten, ich wäre es in Wirklichkeit nicht. Ich glaube, die Anwesenheit meiner älteren Kinder läßt mich stark sein, läßt mich weitermachen. Und die ehrlichen, aufrichtigen Bemühungen einiger Menschen läßt mich nicht an der Schönheit dieses Lebens vorbeisehen.

Aber dennoch. Die Werte sind auf radikale Weise zurechtgerückt. Dieses Leben ist zerbrechlich.
Jedem von uns kann zu jeder Zeit etwas passieren, dass unser Leben sehr stark verändert oder beendet. Es wird ganz still in mir davon. Und dann gehe ich wieder los und schaue, ob meine Kinder "nur" schlafen....

Ich kopiere Euch einen Text hier rein, der mich schon sehr lange begleitet und in letzter Zeit hilft, auch mit sehr unreifen Reaktionen umzugehen... In dem Text heißt es zum Beispiel "jeder hat seine Geschichte" oder, ganz zum Schluß: "Strebe behutsam danach, glücklich zu sein" ....

In diesem Sinne wünsche ich Euch ein behutsames Streben nach Glück und ein behütetes Glück...

Alex



[b]DESIDERATA (das Wünschenswerte)[/b]

Gehe ruhig und gelassen durch Lärm und Hast und sei des Friedens eingedenk, den die Stille bergen kann.
Stehe soweit ohne Selbstaufgabe möglich in freundlicher Beziehung zu allen Mitmenschen.
Äußere deine Wahrheit ruhig und klar und höre anderen zu, auch den Geistlosen und Unwissenden; auch sie haben ihre Geschichte.
Meide laute und agressive Menschen, sie sind eine Qual für den Geist.
Wenn du dich mit anderen vergleichst, könntest du bitter werden und dir nichtig vorkommen;
denn immer wird es jemanden geben, größer oder geringer als du.
Freue dich deiner eigenen Leistungen wie auch deiner eigenen Pläne.
Bleibe weiter an deiner eigenen Laufbahn interessiert, wie bescheiden auch immer.
Sie ist ein echter Besitz im wechselnden Glück der Zeiten.
In deinen geschäftlichen Angelegenheiten laß Vorsicht walten; denn die Welt ist voller Betrug.
Aber dies soll dich nicht blind machen gegen gleichermaßen vorhandene Rechtschaffenheit.
Viele Menschen ringen um hohe Ideale; und überall ist das Leben voller Heldentum.
Sei du selbst, vor allen Dingen heuchle keine Zuneigung.
Noch sei zynisch was die Liebe betrifft; denn auch im Angesicht aller Dürre und Enttäuschung ist sie doch immerwährend wie das Gras.
Ertrage freundlich-gelassen den Ratschluß der Jahre, gib die Dinge der Jugend mit Grazie auf.
Stärke die Kraft des Geistes, damit sie dich in plötzlich hereinbrechendem Unglück schütze.
Aber beunruhige dich nicht mit Einbildungen.
Viele Befürchtungen sind Folge von Erschöpfung und Einsamkeit.
Bei einem heilsamen Maß an Selbstdisziplin sei gut zu dir selbst.
Du bist ein Kind des Universums, nicht weniger als die Bäume und Sterne; du hast ein Recht hier zu sein.
Und ob es dir nun bewußt ist oder nicht: zweifellos entfaltet sich das Universum wie vorhergesehen.
Darum lebe in Frieden mit Gott, was für eine Vorstellung du auch von ihm hast und was immer dein Mühen und Sehnen ist.
In der lärmenden Wirrnis des Lebens erhalte dir den Frieden mit deiner Seele.
Trotz all ihrem Schein, der Plackerei und den zerbrochenen Träumen ist diese Welt doch wunderschön.

Sei vorsichtig.

Strebe behutsam danach, glücklich zu sein.

Moni Reinmann

E-Mail

Lich,
31.01.2007,
13:38 Uhr

@ Alex
 

Tod ist sehr real geworden

Liebe Alex,

es tut mir sehr Leid, was du durchmachst. Ich habe selber eine kleine Tochter im Dezember geboren, am 01.12. und ich habe auch ständig Angst trotz AC, dass sie plözlich nicht mehr atmet oder an was anderem sterben könnte, sie hat zwei Geschwister, 9 und 12 und ich sorge mich natürlich auch um sie. Doch der plötzliche Kindstod ist so heimtückisch, so unberechenbar, dass ich ehrlich gesagt, um meine Kleine am meisten Angst habe. Den Großen sage ich natürlich auch jeden Tag, wenn sie rausgehen, sie sollen auf sich aufpassen...passieren kann ja immer was und ich versuche, ruhig zu bleiben, die Zeit zu genießen mit meinen Kindern und mich nicht zu verrückt zu machen.

Warum ist deine Kleine in deinen Armen gestorben, du hast sie doch sicherlich gefunden, als sie leider nicht mehr zu retten war? Entschuldige, wenn ich so direkt frage, aber ich würde es gerne wissen.

Alles Liebe und Gute für dich und deine Familie

Wenn du möchtest, kannst du mich auch gerne mal anrufen, meine Nummer teile ich dir gerne über E-Mail mit.

Moni

Alex

E-Mail

Moers,
02.02.2007,
00:33 Uhr

@ Moni Reinmann
 

Tod ist sehr real geworden

Hallo Moni,

ich möchte keine Angst schüren.
Wenn ich es gut verstehe, erlebst Du grade eine sehr fein-fühlige Zeit und hast aus bestimmten Gründen Sorge, dass auch Dein Baby vom plötzlichen Kindstod betroffen sein könnte. Was läßt Dich diese Sorge haben?

Eine Sorge von mir ist es, dass ich nicht mehr die Gelassenheit und das Vertrauen ausstrahlen würde wie zuvor, wenn ich nochmal ein Baby hätte. Ich habe immer darauf vertraut, dass meine Kinder atmen, wieder aufstehen, wieder nach Hause kommen, Probleme gelöst werden können. Ich weiss nicht, wie es würde, wenn ich nochmals schwanger werden würde. Könnte ich unbefangen damit umgehen? Meinen älteren Kindern das Gefühl vermitteln, dass alles gut wird und Ihnen wieder - ganz neu - zeigen, dass das Leben nicht nur aus Angst und Sorge besteht, sondern schön und lebendig ist, jeder Tag lebenswert? Mal abgesehen davon, wie es MIR gehen würde... ich fürchte, meine Kinder wären wahrscheinlich sehr besorgt um mich.

Ja, WENN ich mich entscheiden würde für ein weiteres Baby... ich würde mir wünschen, dass wir unbefangen jeden Tag leben. Nicht nur das Baby behüten, sondern unser gemeinsames Leben. Dass am nächsten Baby nicht zuviel Erinnerung klebt von Runa.

Ich schicke Dir eine Email. Ich beantworte Dir auch Deine Fragen, möchte aber noch viel lieber Deine jetzige Situation bestärken, wünsche Dir Kraft und Liebe. Und dass alles gut geht. Für Euch alle.

Bis dann,

Alex

Moni(R)

05.02.2007,
12:13 Uhr

@ Alex
 

Tod ist sehr real geworden

Liebe Alex,

danke für deine sehr einfühlsamen Zeilen und deine E-Mail. Du bist ein ganz besonderer Mensch und deine Kinder haben eine wunderbare Mutter, die ihnen zeigt, wie schön das Leben ist und dass es sich lohnt, jeden Tag aufzustehen, um sich zu erfreuen, obwohl eure kleine Runa von euch gegangen ist und ihr sie alle sehr vermisst. Ich kann dir gar nicht sagen, was mir alles beim Lesen deiner Zeilen durch den Kopf gegangen ist, du beschreibst sehr intensiv deine Gefühle, deine Stärke, für deine Kinder da zu sein und deine Ängste, sie zu verlieren und das Bewusstsein, jeder Tag ist wertvoll und das Leben ist zerbrechlich. Mir wird bewusst, wie unwichtig manche Dinge werden, die wichtig erscheinen und ich schäme mich, wie oft ich mich über Nichtigkeiten aufrege oder losheule, weil meine Kinder sich mal wieder streiten, während unser Baby schreit und mein Mann fragt, wann es endlich Essen gibt...ich fühle mich dann so überfordert und unglücklich - dabei sollte ich glücklich sein, denn ich habe drei gesunde Kinder und schreibe gerade in einem Forum, das doch für Eltern gemacht ist, die ihr Liebstes auf der Welt, ihr Kind verloren haben! Ja, woher kommt meine Angst, meine kleine Emily könnte auch eines Tages nicht mehr aufwachen...Ich habe sie so unglaublich lieb, ich schaue sie an und lebe die Zeit, jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde so intensiv und danke Gott dafür, nach meinen beiden "Großen"nochmal dieses kleine Wunder geboren zu haben. Und dann beschleicht mich dieses Gefühl,dies Angst, die mich ganz starr werden lässt und die mir sagt, niemand weiß, ob unsere Kleine nicht auch dieses Schicksal ereilt oder ob ihr oder meinen anderen Kindern oder uns irgendwas zustößt. Meine Hebamme sagte es sehr treffend. Ich solle mich nicht zu verrückt machen, es kann immer was passieren und ich darf mich nicht da reinsteigern, sonst kann ich mich gleich einweisen lassen. Ich war schon immer sehr emotional und als vor fast genau 8 Jahren unser bester Freund durch einen Autounfall ums Leben kam und 4 Jahre später eine gute Freundin von mir, da hat mich das sehr aus der Bahn geworfen und mir war klar, es kann jeden treffen. Ich bin sensibel geworden für den Tod, ich beschäftige mich seit der Geburt von Emily viel mit SIDS und ich gebe zu, es macht mir Angst, dass hier im Forum ständig neue arme Eltern schreiben, sie hätten ihr Kind verloren...Ich frage mich dann, ob sie vielleicht vorher noch nicht so über den Kindstod Bescheid wussten und daher einige der Risikofaktoren mit dazu führten, dass die Kinder gestorben sind. Oder ob es TROTZ aller vorbeugenden Maßnahmen passiert ist!!!!! Und genau das ist es, was diese Angst nicht verschwinden lässt, dies Machlosigkeit! Ich liege wach und überlege, warum nicht etwas auf den Markt gebracht werden kann, dass die Kinder auch im Kinderwagen, Wippe etc. überwachen kann, etwas, was unkompliziert ist und was sich jeder leisten kann...

Ich muss mich entschuldigen, dass ich hier so viel schreibe!!! Doch es geht mir so viel im Kopf rum...

Liebe Alex, ich wünsche dir alles Gute und dass du nochmal ein Baby bekommst und es genießen kannst und hoffe wirklich, dass du es schaffst, deine Schwangerschaft und die Babyzeit zu genießen. Du bist so voller positiver Energie, ich wünschte, ich hätte etwas von dir!

Viele Grüße

Moni

Chrissi

E-Mail

Großen-Buseck,
26.03.2007,
13:55 Uhr

@ Alex
 

Tod ist sehr real geworden

Hallo Alex,

ich bin selbst Mama von einem einjährigem Sonnenschein. Es hat mich sehr berührt der Tod von deiner kleinen Tochter Runa und ich finde du bist eine sehr starke Frau. Wirklich mach weiter so.........ich selbst bin auch schon oft genug mit dem plötzlichen Tod von ganz lieben Menschen konfrontiert worden. Jaa das Leben ist so zerbrechlich, dass wurde mir wieder knallhart bewusst als unsere süsse Maus auf die Welt gekommen ist. Sie galt 4 Tage als ganz gesund und dann kam die Nachricht ohne Herzop keine Überlebenschance. Die Op war sehr schwierig und auch danach die Zeit für uns sehr schwer. Aber unsere Selin Angelina hat gekämpft und es geschafft. Deswegen bin ich über jeden einzelnen Tag den sie hier ist einfach glücklich und für uns ist es nicht selbstverständlich dass sie sich so super entwickelt hat und man ihr jetzt ein Jahr später nichts mehr anmerkt. Ich hoffe es bleibt auch so, die besten Schutzengel hat sie ihm Himmel, ihre Großeltern.

Ich wünsche dir und auch deiner Familie viel Kraft alles zu verarbeiten. Nimm dir auch als Mutter die Zeit die du zum trauern brauchst. In unseren Herzen leben unsere Lieben weiter.

Liebe Grüße
Chrissi

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