Liebe Martina,
ich habe mich schon oft gefragt, wie es Dir geht. Irgendwie ist mir ein Stein vom Herzen gefallen, als ich Deine ersten Zeilen las und mein Herz hat einen Hüpferer gemacht (gutes Gefühl). Insgeheim habe ich mir den Volker und Dich als interessante, starke Menschen vorgestellt. Dachte auch bei mir, dass ihr beide das zusammen schaffen werdet. Wenn auch mit gewaltigen Blessuren. Aber Volker hat so respektvoll von Dir gesprochen, dass ich fühlte, ja, die haben´s nicht leichter als irgendjemand anders von uns, aber da schwang etwas sehr Würdevolles mit...
Ich weiss nicht so recht, inwieweit man sich trotz aller Gemeinsamkeit womöglich auch bei der Trauer "im Weg stehen" kann, denn ich mach das hier ziemlich alleine durch. Der Vater von Nathaniel und Runa lebt nicht in Deutschland und zu allem Überfluss ist unsere Fähigkeit, miteinander zu sprechen, erst recht sehr eingeschränkt. Alles sehr traurig. Und manchmal weiss ich gar nicht, was mehr weh tut. Der Tod von Runa oder dass es ausgerechnet jetzt so aussichtslos aussieht, um sich ein wenig gegenseitig zu "tragen".
Lena (13), meine älteste Tochter macht einen ähnlichen Trauerprozess durch wie ich. Und - wie es so geht - waren wir in den letzten 4 Wochen total platt. Das lag nicht zuletzt auch an Nathaniel (beinahe 3), der regelrecht an unseren Beinen "klebt". Beide haben Runa so was von herzlich hier aufgenommen, dass ich ganz baff war. Keine Eifersucht, kein Frötseln, nichts. Im Gegenteil. Beide sind so selbstverständlich mit ihr umgegangen und wollten sie unbedingt um sich haben. Nathaniel zum Beispiel hat Runa wenige Stunden nach der Geburt in den Arm genommen und da das ein wenig unbeholfen aussah, wollte ich ihm helfen. Er dachte, ich wollte sie ihm wegnehmen und fing an zu weinen. Als ich ihm erklärte, dass ich ihm nur helfen wollte, war er sehr zufrieden und sagte: Das ist meine Schwester, stimmts, Mama?
Ich habe erst nicht erwartet, dass er Runa so sehr vermissen würde. Er hat oft im Schlaf geweint, hat angefangen, im Schlaf zu reden. Und ich habe hier Rillen in den Fussboden gelaufen, bin zu BEIDEN Kindern - alle 5 Minuten - manchmal öfter, nur um zu fühlen, wie sie atmen.
Am Anfang traute ich mich nicht, mich mit Nathaniel in ein Bett zu legen. Erst hatte ich nämlich ein fast betäubtes Gefühl zu meinen Kindern. Hatte Angst, mich zu öffnen für sie. Habe nur funktioniert. Hätte am liebsten die ganze Nacht deren Schlaf bewacht. Hab´s in meinem Bett nicht ausgehalten, bin wieder in meinen Sessel, dort irgendwann vor Erschöpfung eingeschlafen. Bis ich die Geschichte meinem Therapeuten erzählte und meinte, ich könnte eigentlich nur einschlafen, wenn mein Sohn mich früh morgens bittet, bei ihm zu bleiben und wir dann noch mal gesellig einschlafen.
Ich war einigermassen überrascht, als er meinte: "Machen Sie das!"
Naja, und seitdem schlafen wir in einem Bett. Scheint uns allen gut zu tun, dass ich wieder Schlaf finde. Aber ich frage mich auch, wann der gute Zeitpunkt gekommen ist, das wieder zu ändern. Und wie...?
Er kommt im Sommer in den Kindergarten. Ich denke, einen Monat vorher werde ich mal einen beherzten Versuch unternehmen.
Nathaniel spricht jeden Tag von seiner kleinen Schwester. Und betet abends für sie. Er hat mich auch schon gefragt, ob der liebe Gott jetzt mit Runa spielt. Ehrlich gesagt, ich musste wirklich loslachen und habe dann mit ganz ernstem Gesicht erwidert, dass ich denke, dass der liebe Gott der beste Spieler ist, den man sich für Runa wünschen kann. Er schien ein wenig neidisch zu sein, denn er meinte, wir könnten doch mal eine Leiter nehmen und gucken gehen. Aber weh tuts doch, dass ihn das so sehr beschäftigt, und auch die Frage, wenn manche Freunde oder Bekannte mal länger nicht auftauchen, ob die nun auch tot seien, ist für mich immer wieder der Hammer. Auch wenn ich darauf ganz ruhig reagiere.
Das, was Du vom Reiten erzählst, gefällt mir sehr. Ich werde mich mal umhören.
Angst frißt die Seele auf. Angst ist allgegenwärtig. Heute zum Beispiel wollten die beiden schon mal vorgehen, um Fußball zu spielen. Wir verabredeten uns an einem bestimmten Platz. Als ich 10 Minuten später dort ankam, war keiner da. Oh man! Ich suchte und suchte und rief beide Namen. Sprach Leute an, ging aufmerksam um mich sehend wieder zurück, - da sah ich die beiden bei uns am Haus auf der Wiese. Ich war fix und fertig. und glücklich. :)
Selbst bei Nathaniel zeigt sich diese Angst - zum Beispiel beim Verstecken-spielen. Wenn jemand da mal etwas zu lange keinen Pieps von sich gibt, klappt der Kleine zusammen.
Weißt Du Martina, (ich muss jetzt ein wenig schmunzeln...) ich bin ein klein wenig anfällig für Komplimente... aber ich weiß das von mir und war auch direkt wieder auf dem Boden. Tat aber trotzdem gut. Und besonders hat es mich gefreut, etwas von Dir zu lesen.
Liebe Grüße, auch an Volker und Marc.
Alex |