Mit der Wende kam SIDS in die neuen Bundesländer... (Prävention)
Die niedrige SID-Rate in der DDR hatte in erster Linie mit dem Verbot der Bauchlage für schlafende Säuglinge in allen Einrichtungen des Gesundheitswesens, dazu gehörten auch die Kinderkrippen, und deren Beratungstätgkeit, zu der die Mütterberatung gehörte. Näheres, kann man hier nachlesen: http://www.babyschlaf.de/e57/e73/e581/pRevFiles628/148-161Schwab.pdf.
Die Frage, ob die Abdeckung von Matratzen mit Gummiunterlagen im Sinne der Giftgashypothese ein Grund für die niedrige SID-Rate der DDR war, läßt sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit verneinen, selbst wenn man die Umhüllung von Matratzen mit gasdichten Materialien nach Sprott als präventiv erachten sollte.
Selbstverständlich kann jetzt keine repräsentative Untersuchung des tatsächlichen Einsatzes von Gummiunterlagen in der DDR mehr durchgeführt werden, die nur auf persönlichen Erinnerungen fußen könnte. Aber man kann die in der DDR üblichen Lehrbücher zur Säuglingspflege und Kinderkrankenpflege sowie die Veröffentlichungen zur Säuglingspflege z.B. der Kommittees für Gesundheitserziehung analysieren. Dabei kann man feststellen, dass bei den verbreiteten Gummiunterlagen von einer Matratzenumhüllung in Sinne von Sprott keine Rede sein kann. Eine kleine Auswahl will ich hier liefern.
Schröder, R. (Hrsg.): Hebammenlehrbuch. Leipzig (Thieme) 1962 S. 550:
"Die Gummiunterlage darf nicht größer als 30 x 35 cm sein. ... Schließlich soll die Gummiunterlage unter dem Durchzug im Bett nur bis zur Schulterhöhe des Kindes reichen, damit Nacken und Hinterhaupt niemals mit dem Gummi in Verbindung kommen."
Kleine Enzyklopädie: Das Kind. Leipzig (VEB Bibliographisches Institut) 1967 S. 182: " Die Gummiunterlage. Stets ist dabei auf die Größe der Gummiunterlage zu achten. Sie darf nicht größer als 30x35 cm sein und dient lediglich dem Schutz der Bettwäsche. Bei zu großen Gummiunterlagen werden Ausdünstungen und Wärmeabgabe des Säuglings verhindert. Bei wunden Kindern ist sie am besten wegzulassen.
In dieser "Kleinen Enzyklopädie" kann man auch die vor dem Irrweg der Bauchlage im Schlaf aufgrund orthopädischer Argumente Ende der 60er Jahre herrschende Meinung nachlesen S. 512: "Die Bauchlage dient der Kräftigung der Rückenmuskulatur und ist eine gute Vorbereitung für das Sitzen. Mehrmals am Tag wird das Kind für 5 bis 10 Minuten auf den Bauch gelegt. Das Kopfkissen ist zu entfernen. Während dieser Zeit darf das Kind nicht allein gelassen werden. Es besteht sonst die Möglichkeit, daß bei Ermüdung das Gesicht nach vorn auf die Unterlage sinkt und das Kind erstickt."
Die Gummiunterlage war übrigens keinesfalls immer direkt als Matratzenabdeckung zu verwenden, im Gegenteil, im Regelfall war die Gummiunterlage Teil der Windelpackung. Dazu ist dieses Lehrbuch von Interesse:
Liebe, S: Lehrbuch für die Kinderkrankenpflegerin und Kinderkrankenschwester. Band 1. Nachdruck der 3. Auflage Leipzig (Thieme) 1973. S. 218: "Bei allen Kindern, die zum Wundwerden neigen oder bereits wund sind (kranke Kinder), muß die Gummiunterlage aus der Windelpackung weggelassen werden. Zum Schutze der Matratze und der Bettwäsche befindet sie sich im Bett des Kindes, bedeckt mit der kleinen Unterlage. ... Wird das Kind ins Bett gelegt, so ist streng darauf zu achten, daß die Gummiunterlage nur bis zur Mitte seines Rückens reicht und keinesfalls bis zum Kopf."
Die populäre "Säuglingsfibel" von Hempel, Leipzig (Hirzel) 6. Aufl. 1972 kennt die Gummiunterlage nur für die Windelpackung (S. 45 f.): "Zwischen die mittlere Windel und das Moltontuch darf eine kleine Gummiunterlage gelegt werden. Ihre Verwendung spart Wäsche. Die Gummiunterlage soll jedoch keinesfalls größer sein al 25 cm x 35 cm. Das Kind liegt sonst in einem feuchtwarmen Umschlag, in dem die zarte, empfindliche Haut durch die feuchte Wärme erweicht. ... Bei Kindern, die zu Wundsein neigen, verzichtet man auf jede Gummiunterlage."
Konzeption zur Durchführung der Mütterkurse in der Stadt Dresden 1978(Kabinett für Gesunderheitserziehung, Rat der Stadt Dresden, Abteilung für Gesundheits- und Sozialwesen), Quelle: Hauptstaatsarchiv Dresden, Bestand 11430, Nr. 49348/2. Blatt 22 (Merkblatt 1, Anforderungen an Stubenwagen, Kinderbett und Kinderwagen): "Matratze fest und unnachgiebig, Kopfkissen nicht erforderlich, anstatt Federbett und Federkissen (für Säuglinge Erstickungsgefahr!) bezogene Woll- oder Steppdecke verwenden, im kalten Schlafraum kleines Federbett über die Beine möglich, Stubenwagen und Kinderbett nicht in unmittelbarer Nähe von Ofen und Fenster stellen, Zugluft vermeiden, Bettboden in der Höhe verstellbar, damit (auch stehendes) Kind nicht herausfallen kann, Gummiunterlage nur in Ausnahmefällen."
Liebe, S. (Hrsg.): Kinderkrankenpflege. Pflege des kranken Kindes. Berlin (VEB Verlag Volk und Gesundheit) 1982 S. 30: "Auf das Mittelteil der Matratze wird eine Gummiunterlage aufgelegt. ... Eine 2. Gummiunterlage wird in die Bettmitte gelegt und darüber der Durchzug eingespannt."
Fazit: Von einer, wie von Sprott verfochtenen, gänzlichen Abdeckung der Matratze mit gasundurchlässigem Material in der DDR vor Einführung von Wegwerfwindeln 1990 kann keine Rede sein. Da speziell der Kopfbereich frei von Gummiunterlagen bleiben sollte, könnte auch bei Stichhaltigkeit der Giftgashypothese von der Wickel- und Bettungstechnik in der DDR keine im Sinne dieser Hypothese positive Wirkung ausgegangen sein.
Hingegen erklären die aus Sicht der aktuellen Präventionsempfehlungen außerordentlich modernen Pflegemethoden, vor allem die konsequente Vermeidung der Bauchlage im Schlaf, die sehr niedrigen SID-Raten der DDR.
Es kommt übrigens noch etwas dazu: Diese ohnehin niedrigen Raten wurden noch dadurch beeinflusst, dass auch geringfügige Infektionen bei den Obduktionen üblicherweise entdeckt und dann als Todesursachen vermerkt wurden. Diese Fälle wurden dann nicht mehr als ICD-9 798.0 registriert, tauchen also in den Statistiken nicht als Plötzlicher Kindstod auf. Eine Dissertation aus dem Jahr 2004 im Zusammenhang mit der großen deutschen SID-Studie 1998 bis 2002 folgt übrigens dem gleichen Prinzip und verneint einen Plötzlichen Kindstod, wenn auch nur leichte Infektionen, z.B. ein Schnupfen, vorliegen. http://edoc.ub.uni-muenchen.de/archive/00001872/01/Zinka_Bettina.pdf.
Mit freundlichen Grüßen,
Hermann-Josef Schwab
Gemeinsame Elterninitive Plötzlicher Säuglingstod
Rheinland-Pfalz/Saarland e.V.
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