Wenn es Intressiert 3-4 April Magazin "Die Zeit Wissen" (Trauer)
Liebe Eltern,
da die Diskussion um den Artikel in ZEIT-Wissen im Forum auch mich betrifft, möchte ich mich an dieser Stelle zu Wort melden. Um es gleich vorab zu sagen: Insgesamt finde ich den Text von Frau Löffler gelungen und auch ausgewogen. Ich höre nun aber aus den unterschiedlichen Reaktionen heraus, dass Eltern dass Gefühl bekommen können, unter Generalverdacht gestellt zu werden - und dies nicht zuletzt durch meine Aussagen. Dies war und ist nicht meine Absicht und ich möchte versuchen, diesen Punkt richtig zu stellen.
Ich hatte mit Frau Löffler ein ausführliches Gespräch und war etwas überrascht darüber, dass mein Part im Ergebnis recht kurz geraten ist. Frau Löffler hatte mich vorab per Email darauf aufmerksam gemacht, dass der Text von der Redaktion gekürzt worden ist und mich um Freigabe zweier Zitate gebeten:
Eine Tötung ist aber oft nur schwer zu entdecken. »Es ist kaum zu sagen, ob das Kind mit einem Kissen erstickt wurde, oder der plötzliche Säuglingstod verantwortlich war«, sagt Sperhake. »Die Befunde sind nahezu identisch.«
»Doch je mehr die echten SIDS-Fälle durch eine erfolgreiche Aufklärung abnehmen«, sagt Sperhake, »desto mehr steigt der Anteil der Tötungen.«
Zu beiden Aussagen stehe ich. In der Tat wäre in Bezug auf den ersten Satz eine Ergänzung wichtig gewesen, dass auch wir davon ausgehen, dass es sich bei den meisten durch uns untersuchten Todesfällen um SIDS-Fälle handelt. Insofern ist der Satz aus dem Zusammenhang gerissen, was mir leid tut. Ich bin mir durchaus bewusst darüber, dass durch die Verkürzung auf wenige Aussagen ein einseitiges Bild entsteht, was ich sehr bedaure.
Andererseits war es Frau Löffler wichtig, auch auf das Thema Tötungsdelikte hinzuweisen. Dieses Thema ist von trauriger Aktualität. Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass es auch Menschen gibt, die Babys töten – so schwer man dies auch nachvollziehen kann. Die Kinder werden ja aus Sicht der Ermittlungsbehörden nur aus diesem Grund, zur Klärung der Todesart, von Rechtsmedizinern untersucht. Wir sind aber weit davon entfernt, einen Verdacht gegen Eltern zu erzeugen, sofern wir nicht triftige Gründe dafür haben. Liebe betroffene Eltern, ich nehme nicht an, dass Ihr Kind zum Zeitpunkt des Todes Knochenbrüche gehabt hat – um solche schrecklichen Dinge geht es aber, wenn wir einen Fall verdächtig finden.
Ich weiß, dass für viele betroffene Eltern der Sinn der Obduktion auch darin liegen kann, eine unausgesprochene Verdachtslage aus der Welt zu schaffen. In den meisten Fällen gelingt uns das, aber eben nicht in allen.
In diesem Zusammenhang habe ich darauf hingewiesen, dass im Jahr 2006 in Hamburg tatsächlich erstmalig die Situation aufgetreten ist, dass zwei verdächtige Fälle einem unverdächtigem gegenüberstanden. Dies habe ich aber vor allem deshalb erwähnt, weil sich damit zeigt, wie erfolgreich sich die Vorbeugung von Risikofaktoren auf die Häufigkeit des Säuglingstodes auswirkt. Es wäre hirnrissig und liegt mir völlig fern, daraus statistische Aussagen ableiten zu wollen. Ich freue mich einfach darüber, dass in 2006 das Schicksal SIDS so vielen Familien in Hamburg erspart geblieben ist.
Selbstverständlich ändert die beste Risikovorbeugung nichts an der Häufigkeit von Tötungsdelikten. Es ist daher zwangsläufig so, dass der Anteil (nicht die absolute Zahl) von Tötungsdelikten unter plötzlich verstorbenen Kindern ansteigt.
Niemand muss sich dadurch unter Generalverdacht gestellt sehen. Der Artikel beschreibt aus meiner Sicht klar und ausgewogen das Phänomen des Plötzlichen Säuglingstodes und versucht nicht den Anschein zu erwecken, dass sich dahinter in der Regel etwas ganz anderes verbirgt.
Abschließend möchte ich um Ihr Verständnis für den nicht immer einfachen Beruf des Rechtsmediziners werben. Wir müssen unsere Antennen in beide Richtungen ausrichten. Unsere Aufgaben, Forschung auf der einen, strafrechtliche Ermittlung auf der anderen Seite, sind nicht immer reibungsfrei unter einen Hut zu bringen. Das heißt nicht, dass wir im Sinne eines generellen Misstrauens voreingenommen sind. Das Thema SIDS liegt mir von Beginn meiner Tätigkeit am Herzen wie kein anderes. Sie, die betroffenen Eltern, haben meine volle Sympathie und Unterstützung. Ich glaube aber, dass man unserem gemeinsamen Anliegen einen Bärendienst erwiese, wenn man die Augen vor den Schattenseiten unserer Gesellschaft verschließen würde. Nicht auch darüber offen zu sprechen, birgt aus meiner Sicht viel eher die Gefahr eines Generalverdachtes.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Jan Sperhake
Sprecher des wissenschaftlichen Beirates der GEPS
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